Ein schöner Artikel aus der Welt vor kurzem. In Frankfurt hat man schon erkannt, dass allein die moderne Architektur kaum mehr Identität schafft. Frankfurt war früher eine große Fachwerkstadt.
Der historische Stadtkern von Frankfurt am Main wurde 1944 nahezu komplett zerstört. Jetzt soll ein Teil der Altstadt wiederhergestellt werden - mit sieben historischen Häusern.
Der Schriftsteller Martin Mosebach ist 1951 in Frankfurt am Main geboren. Die Handlung seines letzten Romans "Der Mond und das Mädchen" hat er in seine Geburtsstadt verlegt. Seine Figuren ringen in einer modernen Metropole um ihre Identität - und finden sie nicht. Frankfurt, schreibt Mosebach, leide an einem "vollständigen Verlust von Hall und Timbre". In einem Interview sagte er: "Ich will nur feststellen, dass diese Stadt gesichtsloser ist als viele andere. Umso wichtiger wäre es, historische architektonische Haltepunkte wiederherzustellen."
Mosebach gehört zu denen, die es vehement begrüßen, dass Frankfurt einen Teil seiner Altstadt rekonstruieren wird. Warum, das erklärt er am Areal zwischen Römer - einem kopfsteingepflasterten Platz mit wiedererbautem Rathaus, Haus Römer mit Kaisersaal und nachgebauter Fachwerkfassadenzeile - und Dom, der Keimzelle Frankfurts. "Die Altstadt war ein Meer aus schmalen, hoch gebauten, eng aneinandergepressten Häusern mit spitzen Giebeln, aus dem der Dom riesenhaft herausragte", erklärt er. "Das zweite bedeutende Gebäudeensemble ist der Römer. Diese beiden architektonisch wichtigen Orte müssen zur Geltung gebracht, müssen eingerahmt werden. Dazu war das Häusergewimmel bestens geeignet."
So sehen das auch weit mehr als die Hälfte der Frankfurter Bürger. Die Pläne, zumindest sieben Altstadthäuser wieder in den historischen Maßen und Konturen aufzubauen, stoßen auf überwältigende Zustimmung. Ein Altstadtrausch ist ausgebrochen, vereint die Generationen und gesellschaftlichen Schichten. Von der Oberbürgermeisterin über den Flughafenchef, der Bankerin bis zur Gymnasiastin - alle freuen sich auf das Ende der "gefühlten Heimatlosigkeit". Diese sieben Häuser waren einst markante Bauten im engen mittelalterlichen Kataster. Im Neubau soll ihre das Altstadtbild prägende Silhouette nun wieder klar erkennbar sein. Auch wenn eine moderne Architektursprache dominiert, müssen die Häuser, so verlangt es der Rahmenplan, "typische Merkmale der früheren Bebauung aufgreifen". Das bedeutet: Fassaden in Putz, Schiefer, Stein oder Holz, die Farbgestaltung wie im Mittelalter, außerdem steil geneigte Dächer in Naturschiefer, "stehende Fensterformate", keine Balkone zur Straßenseite und eine Fassadendekoration, die "Geschichte erzählt".
Der Verein der Altstadtfreunde kommuniziert mit dem Magistrat in dem deutschlandweit bisher einzigartigen Rekonstruktionsprojekt, dessen Kosten doppelt so hoch sein werden wie für Neubauten. Die Mehrkosten will die Stadt tragen.
Umgesetzt wird die Planung dann von einer Gesellschaft - so bestimmt es der Rahmenplan. "Erbpachtnehmer", also Bauwillige, sind vertraglich an die städtebaulichen Auflagen gebunden.
Die neuen, an alten Vorbildern orientierten Häuser werden überwiegend Wohnhäuser sein, zu diesem Zweck werden 12 000 Quadratmeter Wohnraum erschlossen. Das Modellvorhaben eines generationenübergreifenden Wohnens soll verwirklicht werden. Auch einige Büroetagen wird es geben, Praxen im ersten Obergeschoss, Läden, Gastronomie, Ateliers und Galerien im Erdgeschoss. Insgesamt rechnet die Stadt mit 106 Millionen Euro Kosten für den Abbruch vorhandener Gebäude, Auf- und Umbauarbeiten und Mehraufwand.
Steuerzahlern wird deshalb nicht mulmig - zumal feststeht, dass ein über drei Jahrzehnte lang optisches Ärgernis geopfert wird: das "völlig überproportionierte" - so Mosebach - sogenannte Technische Rathaus, eine Betonorgie der 70er-Jahre auf Stelzen, "das den Dom seiner Wirkung beraubt".
Die Sehnsucht nach dem neu gebauten Alten ist in Frankfurt so alt wie der Verlust der Altbausubstanz. 1949 schlenderte der Feuilletonist Richard Kirn durch das Stadtzentrum und notierte: "Steine, Getrümmer, Scherben und Schutt. Wir sehen davon wenig. Wir sehen immer noch die alten Häuser. Sie sind keine Phantome für uns, für uns sind die Trümmer Phantome, Schimären, ein Alpdruck."
Schon damals herrschte die Stimmung vor, alles Zerstörte in herkömmlichen Maßen und Stilen wiederaufzubauen. Zumal nach den Bombardements der Alliierten unter den Trümmerhalden noch unversehrte steinerne Erdgeschosse komplett erhalten waren, Fassaden und einzelne ganze Häuser der Feuersbrunst widerstanden hatten. "Hier hatte jedes Haus einen Namen", schrieb Richard Kirn melancholisch. Einige dieser Namen werden nun wieder vergeben.
Denn Frankfurt, seinerzeit bemüht, Hauptstadt der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland zu werden, wollte sich als moderne Stadt profilieren. Sie wurde zur "amerikanischsten" Stadt Europas, zu "Mainhattan" und "Chicago am Main". Die Hochhäuser aus Glas, Chrom und kaltem Stahl, die Europas kompakteste und höchste Skyline bilden, die nach dem Krieg durch den Altstadtkörper gewuchteten Straßenschneisen und die "Zeil", umsatzstärkste deutsche Fußgängerzone, konnten die Mitte nicht ersetzen. In Frankfurt fehlt das Gefühl, dass historische Gebäudeensemble verleihen. Nun soll es entstehen. An den Altstadtstraßen Hinter dem Lämmchen und Markt werden die Häuser Klein Nürnberg, Goldenes Lämmchen, Alter Esslinger, Junger Esslinger, Rotes Haus, Goldene Waage und Haus Rebstock gebaut. Die rekonstruierten Häuser werden Anmutungen von Gotik, Renaissance und Barock repräsentieren. Unklar ist noch, ob das Haus Rebstock tatsächlich gebaut werden kann, weil die Einfahrt zu einer stark frequentierten Tiefgarage verlegt werden müsste. Zu 85 Prozent soll die Gestaltung der Häuser ganz dem Vorkriegszustand angeglichen werden. Maßvoll neu sind Sockel- und Dachzonen, wie sie heutigen Wohnbedürfnissen entsprechen.
Lässt die Quellenlage keine seriöse Rekonstruktion zu, ist das Zitat erwünscht, der Neubau in den alten Proportionen, die Wahrung des Parzellenzuschnitts. Die Architekten Jo. Franzke, Stefan Forster, Michael Landes und Karl Dudler haben einen Stadtraum der Erinnerung entworfen, ein Innenstadtquartier, das sie anhand alter Pläne und historischer Fotos entwickelten. Es soll keine Ansammlung von Knusperhäuschen werden, sondern eine Annäherung an die Geschichte. Vielleicht wird es die neue Mitte.