Schöne neue Bürowelt in der Vorstadt
Der erste Mieter ist in den Zürcher Prime Tower eingezogen. Weitere riesige Gebäudekomplexe mit neuartigen Grossraumbüros entstehen derzeit. Die Immobilienbranche könnte unter Preisdruck geraten.
Eine Zügelwelle rollt in den Schweizer Grossstädten an. Grosse Firmen wie UBS, Credit Suisse, Roche, Allianz oder Ernst & Young konzentrieren ihre Büros in neuen Gebäudekomplexen ausserhalb der Zentren. Die Folgen sind weitreichend. Tausende von Bürolisten werden demnächst ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen. Vieles wird für sie neu sein: Am Morgen der Arbeitsweg, am Mittag das Stammlokal, am Abend das Fitness-Center oder der Weg zur Kinderkrippe.
Vor allem aber wird sich die Immobilienbranche auf härtere Zeiten einstellen müssen. Denn in den Zentren von Zürich, Basel und Bern werden sanierungsbedürftige Büros für Tausende von Angestellten frei. Dabei gestalte sich die Vermarktung vieler Büroflächen bereits heute harzig, schreiben die Immobilienspezialisten von Colliers. Die Zeiten könnten für die Mieter noch besser werden. Kurzfristig sei das Beschäftigungswachstum nämlich zu gering, als dass alle neuen Flächen absorbiert werden könnten, prognostiziert die Credit Suisse.
Vor allem in der Stadt Zürich läuft die Bauwirtschaft auf vollen Touren. In diesem und im kommenden Jahr werden 160 000 Quadratmeter Bürofläche auf den Markt kommen. Oder anders gesagt: In Zürich wird in relativ kurzer Zeit so viel Bürofläche frei, dass expansionsfreudige Firmen darauf Arbeitsplätze für 8000 Angestellte einrichten könnten. Ein Rätsel ist aber, woher Unternehmen mit so vielen Angestellten kommen sollen.
Die UBS spart in Zürich 90 Millionen
Vor allem die beiden grossen privaten Arbeitgeber Credit Suisse und UBS organisieren sich in der Stadt neu. Noch belegt die Credit Suisse im Grossraum Zürich rund 100 Standorte. Geplant ist aber, die Aktivitäten im Norden und im Süden der Stadt zu konzentrieren. In Oerlikon erhöht die Bank die Zahl der Arbeitsplätze von 1900 auf maximal 4000, am Fuss des Üetlibergs im Süden der Stadt von 6500 auf 8500. Im Zentrum bleiben nur noch Kundenberater und die Geschäftsleitung.
Auch die UBS-Angestellten werden in den nächsten Jahren zusammenrücken. Bereits sind hunderte von Arbeitsplätzen in bestehende Gebäude in Opfikon und Zürich-Altstetten verlagert worden. Vor allem aber zieht die Bank bis 2013 an der Europa-Allee beim Hauptbahnhof einen Neubau hoch, in dem 2500 Angestellte unterkommen werden. «Es gibt keinen Grund, warum HR-Mitarbeiter oder Marketing-Fachleute direkt im Zentrum arbeiten müssen», sagt Peter Stipp, globaler Immobilienchef der Bank. Die UBS kann mit dem Zusammenzug viel Geld sparen. Um rund 90 Mio. CHF werden die jährlichen Gebäudekosten in Zürich sinken. Die neuen und alten Büros liegen zwar nur wenige Minuten Tramfahrt voneinander entfernt – preislich trennen sie aber Welten.
Davon wird bald auch Ernst & Young profitieren. Die Gesellschaft belegt in Zürich drei Standorte, einen davon am Bleicherweg in der Nähe des Paradeplatzes. In diesem Monat zügelt Ernst & Young alle 1000 Zürcher Angestellten in ein neues Gebäude am Fusse des Prime Tower beim Bahnhof Hardbrücke. Ausserhalb der City sind die Mieten laut Colliers rasch 30 % tiefer und die Hausinstallationen erst noch auf dem neuesten Stand.
Die Unternehmen können aber nicht nur die Haustechnik mit dem Umzug auf den modernsten Stand bringen. In den Büropalästen soll auch sonst ein neues Arbeitsklima herrschen. Dafür richten die Unternehmen die Arbeitsplätze neuartig ein. Für die Mitarbeiter heisst das: Es gibt mehr Grossraumbüros, weniger fixe Arbeitsplätze, weniger Einzelbüros, dafür Sofa-Ecken und Ruhe¬zonen. «Die Zeiten sind vorbei, in denen die Grösse des Büros als Statussymbol dienen konnte», sagt Stipp von der UBS. Die neuartigen Grossraumbüros, die von Möbelherstellern ¬wie Vitra unter dem Namen Open Space vermarktet werden, sollen die Angestellten dazu bringen, mehr zu kooperieren und vermehrt Projekte gemeinsam anzupacken.
Weniger fixe Arbeitsplätze
Ernst & Young ist nur eine von vielen Firmen, die diesem Trend folgen: Etwa 25 % ihrer Angestellten werden keinen fixen Arbeitsplatz mehr haben, sondern sich dorthin setzen, wo etwas frei ist (Desk-Sharing). Und mehr als die Hälfte der Mitarbeiter wird künftig im Grossraumbüro beziehungsweise dem Open Space arbeiten. Die Auditors kennen das Desk-Sharing bereits und hätten sich daran gewöhnt, sagt der Zürcher Sitzleiter Thomas Sauber. «Auf rund die Hälfte der Angestellten kommen aber grosse Veränderungen zu». Nur 10 % der Angestellten werden beispielsweise noch ein Einzelbüro belegen.
Indem die Firmen auf diese Weise ihre Büro-Organisation umkrempeln, wollen sie natürlich auch Kosten sparen. In der Regel werden die Firmen pro Mitarbeiter nämlich weniger Platz belegen als in den alten Bürobauten in den Stadtzentren. Ernst & Young wird am neuen Standort ungefähr 5 % weniger Fläche haben als am alten Ort.
Ein Unternehmen könnte mit einem Open-Space-Büro aber noch viel mehr Platz sparen: Bis zu 30 % seien möglich, glaubt Hanns-Peter Cohn, Chef von Vitra. «In der Regel führen die Firmen den Open Space aber schrittweise ein, indem sie beispielsweise die Zahl der fixen Arbeitsplätze um 10 % reduzieren», sagt er. Bei der UBS gab es bis vor kurzem auch aufgrund von Leerständen 120 Arbeitsplätze für 100 Mitarbeiter. Künftig werden es 80 Plätze für 100 Mitarbeiter sein. «Tendenziell werden die Gesellschaften in Zukunft weniger Bürofläche für die gleiche Anzahl Mitarbeiter benötigen», prognostiziert Stipp.
Gelassene Wirtschaftsförderer
Obwohl in nächster Zeit somit nicht nur das Angebot an Bürofläche massiv zunimmt, sondern auch die Nachfrage der etablierten Firmen sinken könnte, ist die Immobilienbranche noch zuversichtlich. Sie befürchtet keine verödeten Zentren. Die Flächen würden nicht schlagartig frei, sagt Yonas Mulugeta von Colliers International. Die Unternehmen würden nach und nach umziehen. Damit bleibe Zeit, neue Mieter zu finden.
Auch Standortpromotoren nehmen die Zügelwelle noch gelassen. Er mache sich keine Sorgen, sagt Zürichs Wirtschaftsförderer Benno Seiler. «Es werden Unternehmen nachrutschen.» In den vergangenen Jahren sei es immer wieder vorgekommen, dass die Wirtschaftsförderung Gesellschaften mit hohem Flächenbedarf kein geeignetes Areal habe vorschlagen können.
Gleich sieht es der Basler Wirtschaftsförderer Franz Saladin. Endlich könne man Unternehmen, die nach Basel ziehen möchten, ausreichend Fläche anbieten, sagt er. Was UBS und Credit Suisse für Zürich, sind Roche und Novartis für Basel. Bis 2015 wird Roche auf dem Firmengelände das Hochhaus «Bau 1» mit 1900 Arbeitsplätzen hochziehen. Einige der 13 Roche-Standorte im Grossraum Basel dürften dann auf den Markt kommen. Auch die Bauten von Novartis verändern das Stadtbild von Basel. Das Unternehmen wird bis 2030 alle bisherigen Standorte mit über 10 000 Arbeitsplätzen auf dem Novartis-Campus im Quartier St. Johann zusammenziehen. Wie in Zürich entsteht in Basel so Platz für Neuzuzüger und Neugründungen.
Neue Googles gesucht
Dass sich eine Firma mit hundert oder mehr Angestellten ansiedelt oder neue Unternehmen entstehen und somit die Fläche füllen, ist allerdings weder in Zürich noch in Basel alltäglich. Zwischen 2003 und 2009 haben gemäss der Beratungsfirma Arthur D. Little 269 ausländische Firmen ihren Hauptsitz in die Schweiz verschoben. In Zürich hat sich vor einem Jahr der Rückversicherer New Re mit 120 Mitarbeitern niedergelassen. Es ist wahrscheinlich die grösste Ansiedlung der letzten Zeit. New Re hat ihre Basis nun im Seefeld-Quartier, nachdem sie – aus Genf weggezogen – kurze Zeit in Glattbrugg domiziliert war. Ferner stockt Google seine Mitarbeiter in Zürich auf und übernimmt dazu Büros von Ernst & Young.
Die Wirtschaftsförderung von Basel setzt im Gegensatz zu Zürich weniger auf die Ansiedlung von Headquarters. Wunschkandidaten sind Pharma- und Chemie¬unternehmen, die forschen und produzieren. Seit 2006 sind 20 solche Firmen in die Region Basel gezogen – allerdings auch nur mit 300 Angestellten. Das bedeutet: Sowohl in Basel als auch in Zürich müssten einige Gesellschaften vom Kaliber wie Google oder New Re zuziehen, um die Büros zu füllen. Wenigstens aber gibt es in beiden Städten mit der Finanz- und der Pharmabranche Sektoren, die eine gewisse Dynamik aufweisen. Gleichwohl sei es in Basel nicht einfach, eine grosse Liegenschaft weiterzuvermieten, sagen Vertreter von Dienstleistungsunternehmen.
Noch anspruchsvoller könnte es für die Standortpromotoren in Bern werden. Der Immobilienmarkt ist stabil – vor allem dank der Verwaltung, die 25'000 Personen beschäftigt. Die Angebotsziffer, das heisst das Verhältnis von angebotener Fläche zum Bestand, ist in Bern mit 2,1 % tiefer als in Basel und Zürich. Allerdings wollen die Bundesverwaltung und die Post den Basler und Zürcher Konzernen nacheifern und Arbeitsplätze zusammen legen. Das werde die Preise unter Druck setzen, glauben die Analysten der Credit Suisse. Es dürfte in Bern schwieriger werden, die Flächen zu füllen.
Zentral und trotzdem verschmäht
Solche Umwälzungen eröffnen jedoch kleineren Firmen Chancen, und zwar in Bern, Basel und Zürich. Wer bisher am Stadtrand oder in der Agglomeration angesiedelt war, kann nun eine gute Lage im Zentrum anvisieren. Nicht wenige Firmen scheinen diese Gelegenheit zu nutzen. «Die Nachfrage nach den von uns aufgegebenen Büros im Zentrum ist sehr gross», sagt Stipp von der UBS. Ärzte oder Anwälte ziehen in die eher kleineren Standorte.
Falls dieser Trend anhält, könnte das jedoch Folgen für die Peripherie haben. «Dort besteht die Gefahr eines Überangebots», glaubt Mulugeta von Colliers. Alte Bürobauten ausserhalb der Grossstädte ohne Anschluss an den öffentlichen Verkehr könnten Ladenhüter werden. Wie gross die Gefahr dafür ist, zeigt ein mehrstöckiges Bürogebäude in Zürich, das früher von der UBS belegt worden ist. Seit Monaten steht es leer.
Es sei eben nicht im Zentrum, sagen Immobilienvertreter lakonisch. So schlecht ist die Lage allerdings nicht. Das Gebäude liegt nur einige hundert Meter von der Bahnhofstrasse entfernt. Doch die Mieter haben offenbar so hohe Ansprüche, dass sie sogar eine städtische Liegenschaft als peripher einschätzen. Abschrecken dürfte sie, dass weder die S-Bahn noch das Tram vor dem Gebäude ein Haltestelle haben.
Kommen weitere Nachteile dazu wie eine veraltete Haustechnik oder eine kleinteilige Flächenstruktur, wird vielen Vermietern nichts anderes übrig bleiben, als ihre Liegenschaft für viel Geld aufzumöbeln. Früher hätten die Vermieter die Kosten für solche Sanierungen in Zürich fast vollständig auf die Mieter überwälzen können, sagen Immobilienspezialisten. Nun müssten sich Eigentümer nicht nur auf tendenziell sinkende Mieteinnahmen und längere Leerstandsphasen einstellen, sondern auch auf einen höheren Investitionsbedarf bei ihren Liegenschaften.
Quelle:
www.nzzonline.ch