Unmut über die Neuplanung des Quartiers
Von Rahel Koerfgen.
Das Gewerbe hat Angst, dass es von den Behörden aus dem Dreispitz-Areal verdrängt werden könnte. Die Baurechtsnehmer des Areals fühlen sich nicht ernst genommen.
Der Lastwagen ist randvoll mit Zitrusfrüchten. Beinahe lautlos werden diese entladen, direkt in die Hallen der Fruchthof AG. Das Unternehmen mit 35 Mitarbeitern in Basel importiert per Bahn und Lastwagen frisches Obst und Gemüse in die Schweiz, seit über drei Jahrzehnten befindet sich der Sitz an der Frankfurt-Strasse auf dem Dreispitz-Areal. Prüfend beobachtet Marc Dietrich, Inhaber der Fruchthof AG, den Vorgang. Er hat die Hände tief in seiner Jackentasche vergraben, er sieht unzufrieden aus. Nicht wegen des Geschäfts, das läuft gut. Aber: «Quer durch unser Firmenareal sollen dereinst ein Veloweg und eine Fussgängerverbindung führen. Für unseren Bahnanschluss hat es dann keinen Platz mehr. Und für die Lastwagen sowieso nicht, da die Frankfurt-Strasse verbreitert werden soll. Wie soll da ein Logistikbetrieb funktionieren?» Dietrich schüttelt ungläubig den Kopf. Er ist mit der neuen Nutzungsplanung für das Dreispitz- Areal nicht einverstanden.
Der Velo- und Fussgängerweg und die Verbreiterung der Frankfurt-Strasse sind Bestandteil dieser Planung. Entwickelt wurde sie von den Kantonen Basel-Stadt und Basellandschaft, der Gemeinde Münchenstein und der alleinigen Grundeigentümerin, der Christoph Merian Stiftung (CMS). Der Veloweg gehört zum Plan, den Langsamverkehr zu fördern. Dieser soll in Zukunft eine wichtige Rolle im neuen Quartier spielen. Laut der Planung soll aus dem heute abgeschlossenen Gewerbe- und Industrieareal ein lebendiger Stadtteil werden (siehe Kasten) – mit Platz für Kultur, Wohnen, Dienstleistungen und Gewerbe, in perfekter Symbiose.
Migros ist stinksauer
«Von wegen perfekt. Die Baurechtsnehmer, die Parzellen auf dem Areal besitzen, fühlen sich von den Behörden und der CMS nicht ernst genommen», sagt Hubertus Ludwig zur BaZ. Er ist Sekretär der Interessengemeinschaft Dreispitz, die 77 auf dem Dreispitz ansässige Betriebe vertritt. Die Firmen, die auf dem Areal eine Parzelle besitzen, seien nicht in die konkrete Planung mit- einbezogen worden, so Ludwig. «Oder zumindest zu spät.» Dabei wäre eine solche Mitwirkung laut Planungsrecht zwingend gewesen. «Wir wurden vor Tatsachen gestellt und befürchten nun, nicht mehr mitreden zu können, auch wenn wir grobe Fehler entdeckt haben», ärgert sich Ludwig. Eine Begründung, warum das Gewerbe nicht stärker miteinbezogen wurde, hat er nicht erhalten.
Dietrich von der Fruchthof AG hat während der öffentlichen, einmonatigen Planauflage im Mai und Juni Einsprache gegen diese Nutzungs- und Quartierplanung erhoben, wie 17 andere Unternehmen, die seit Jahren auf dem Areal wirtschaften. Dazu gehört auch die Genossenschaft Migros Basel, die mit ihrem Einkaufszentrum MParc eine Parzelle besitzt, die fast ein Fünftel des ganzen basel-städtischen Dreispitz- Areals umfasst. Die Migros ist stinksauer: «Die Behörden und die CMS haben nie versucht, die Planung gemein- sam mit der Migros anzugehen. Statt- dessen wurde und wird über den Kopf der Baurechtsnehmer hinweg geplant», sagt Sprecher Dieter Wullschleger. Mit dieser Planung solle der MParc aus dem Dreispitz-Areal verdrängt oder zumindest verkleinert werden, ist er überzeugt. «Das ist für uns nicht akzeptabel, haben wir doch in den letzten Jahren Dutzende von Millionen Franken in die Sicherheit und Modernisierung des MParc investiert.»
Projekte liegen auf Eis
Ein weiterer Betrieb, der unter der neuen Nutzungsplanung zu leiden hätte, ist das Autohaus Asag an der Reinacherstrasse. Das dreistöckige Gebäude platzt aus allen Nähten. Das Unternehmen wollte darum das Gebäude um zwei Stockwerke ausbauen – allein die Planung hierfür kostete 100 000 Franken. Dieses Geld hätte man auch gleich zum Fenster hinauswerfen können, sagt Dominik Hänggi, Immobilienverantwortlicher der Asag: «Baubeginn wäre nächstes Jahr – doch wegen des vorgesehenen Nutzungsplans liegt dieses Projekt nun auf Eis.»
Grund für den Ausbaustopp ist eine neue Ausnutzungsziffer bestehender Gebäude, die auch zum neuen Nutzungsplan gehört: Bis anhin konnte der Baurechtsnehmer seine Parzelle mit einem sechsstöckigen Bau (Ausnutzungsziffer 6) zu hundert Prozent nut- zen. Neu wollen die Behörden und die CMS aber eine Ausnutzungsziffer von maximal 1,8 einführen – dies macht den Ausbau um weitere Stockwerke unmöglich. Die meisten Unternehmen haben diese Reserve bereits aufgebraucht. «Aufgrund dieser Perspektiven werden auch potenzielle Investoren abgeschreckt», ist Ludwig überzeugt.
CMS wehrt sich gegen die Vorwürfe
Christian Felber, Direktor der Christoph Merian Stiftung, will zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskünfte zu einzelnen Anliegen oder Unternehmen machen. Dies schreibt er in einem Brief an die BaZ. Konkrete Fragen beantwortet er «aufgrund laufender Verhandlungen» nicht, versichert aber: «Wir nehmen die Anliegen ernst. Die Planung wird auf ihre Auswirkung auf die Betroffenen noch genauer untersucht.» Die CMS wolle insbesondere die Vorschriften so verbessern, dass das bestehende Gewerbe nicht verdrängt wird. Mehr noch: «Das Angebot an reinen Gewerbeflächen wird insgesamt zunehmen», schreibt Felber.
Den Vorwurf der IG Dreispitz und der Migros, sie seien nicht in die Planung involviert worden, will Felber so nicht gelten lassen: «Wir haben mit den grossen Baurechtsnehmern immer wieder einzeln Gespräche geführt.» Ausserdem haben die Einsprecher laut Felber die Zusage, auf ihre Anliegen «individuelle Antworten zu bekommen». Marc Dietrich von der Fruchthof AG hat seine Einsprache bereits im Mai deponiert. Auf eine Antwort wartet er allerdings heute noch.
Hubertus Ludwig von der IG Dreispitz strebt nun an, dass die Baurechtsnehmer von der CMS und den Behörden als vollwertige Partner anerkannt werden. Er hofft, dies beim nächsten Treffen mit den entsprechenden Vertretern erreichen zu können. Und er will Klarheit, denn verbindliche Aussagen und ein Planungshorizont fehlen: Niemand weiss genau, wann der Nutzungsplan umgesetzt werden soll.
Firmen wollen Perspektiven
Beim Treffen, das laut Ludwig im Dezember oder Januar stattfinden soll, will sich die CMS mit den Baurechtsnehmern über die Einsprachen unterhalten. Ob sie zu Abstrichen bereit sei, wisse Ludwig jetzt noch nicht. «Wir können mit Kompromissen leben. Aber diese müssen wirtschaftsfreundlich sein und den Unternehmen Perspektiven bieten.»
Einen konkreten Terminvorschlag hat Ludwig von der CMS indes noch nicht erhalten; Christian Felber hat auf die entsprechende Frage der BaZ auch nicht reagiert. Dabei drängt es, denn viel Zeit für Korrekturen bleibt nicht: Laut Informationen des Gewerbever* bands Basel*Stadt wird die definitive Nutzungsplanung im Januar 2012 dem Basler Regierungsrat vorgelegt, im Februar oder März soll der Grosse Rat das Geschäft behandeln, im Frühling soll der definitive Entscheid erfolgen. In Münchenstein soll die Planung an der Gemeindeversammlung vom 26. März 2012 abgesegnet werden.
Rechtliche Schritte vorbehalten
Falls die CMS nicht zu einem Entge*genkommen bereit ist, behalten sich die Betriebe rechtliche Schritte vor. «Wir können den Plan so nicht akzeptieren», sagt Ludwig. In dieser Form würden wohl zahlreiche Firmen dem Areal den Rücken kehren, mit der Konsequenz, dass den Kantonen wertvolle Steuer* gelder entgehen würden. Arbeitsplätze wären bedroht. Auch Marc Dietrich von der Fruchthof AG müsste sich zwangs*läufig nach einem neuen Firmensitz umsehen – «denn ohne Bahnanschluss und Abstellmöglichkeiten der Lastwa*gen ist ein Logistikbetrieb nichts wert».
Die Frage ist nur, wo die Fruchthof AG hinziehen könnte. Denn freie gewerbliche Flächen in der Stadt und der näheren Agglomeration, die ver*kehrstechnisch gut erschlossen sind, sind laut Martin Dätwyler von der Han* delskammer beider Basel rar. «Das Drei*spitz*-Areal ist heute eines der wenigen Gebiete auf basel*städtischem Kantons* gebiet, das dem produzierenden und lärmintensiven Gewerbe Platz bietet. Der Druck auf die Wirtschaftsflächen ist enorm.» Auch er hat das Gefühl, dass mit dem neuen Nutzungsplan eine Ver*drängung des Gewerbes in Kauf ge*nommen werde. «Warum, ist mir abso*lut schleierhaft.»
Quelle:
www.bazonline.ch