Ein vollgestopfter Sack
Ich teile eher die Meinung von Benedikt Loderer
Tages-Anzeiger vom 26.04.2007
Ein vollgestopfter Sack
Dem Entwurf von Rafael Moneo fehlt es an Grosszügigkeit – weil sie den Auftraggebern fehlt.
Von Benedikt Loderer*
Dem Projekt Moneo weht ein steifer Wind entgegen. Die trotzigen Durchhalteparolen übertönen die zweifelnden Fragen nicht. Ich stelle hier nur eine: Ist das Spitzenarchitektur? Die, behaupten unsere Stadthäupter, sei in der rauen, globalisierten Standortkonkurrenz für Zürich überlebensnotwendig.
Rafael Moneo hat das Wettbewerbsprojekt überarbeitet, hat er nun Spitzenarchitektur erreicht? Leider nein. Selbst ein Baukünstler vom seinem Format kann sie uns unmöglich liefern. Weil er würgen muss. Das Grundstück ist zu klein für das riesige Programm. Es ist wie ein zu kleiner Anzug für einen dicken Mann. Stopft man einen Sack voll, wirds nur ein voller Sack. Das Projekt hat keinen Schnauf. Vor lauter Anlieferung, Aufzügen, Flucht- und Rolltreppen sieht man die Architektur nicht mehr. Die betrieblichen Zwänge haben die räumliche Erfindung platt gedrückt. Platt und kommerzmodern ists darum auch geworden.
Ein Ausflug nach Luzern ist da lehrreich. Nouvels Kultur- und Kongresszentrum am See, Zürichs Massstab in Sachen Spitzenarchitektur, hat genau das, was Moneos Entwurf so bitter fehlt: einen weiten Atem. Wer je auf einer der drei grossen Dachterrassen stand, merkt: Hier ist nicht alles bis zum letzten ausgequetscht. Da ist noch Spielraum. Hier herrscht Grosszügigkeit, hier ist man Luzerner, nicht nur Konsument.
Genau diese Grosszügigkeit fehlt dem Projekt Moneo. Weil sie seinen Bestellern fehlt. Die Promotoren wollen 6,2 Prozent Rendite auf das Kapital, keine Spitzenarchitektur. Die ist blosses Lippenbekenntnis und Verkaufsargument. Im Grunde genommen wollen die Promotoren ein neues Kongresszentrum, aber subito, mehr nicht. Diesen Leuten genügt die Note viereinhalb, die sie uns als eine sechs verkaufen. An diesem Ort aber ist alles unter einer sechs nicht erlaubt. Moneos Vorschlag, der aussieht wie das European Headquarter eines US-Versicherungskonzerns, ist hier eindeutig zu wenig.
Glücklicherweise gibt es die Spitzenarchitektur an dieser Stelle schon: das bestehende Kongresshaus von Haefeli/Moser/Steiger.
Das neue Kongresszentrum soll ein Leuchtturm werden, der weit über die Stadt ausstrahlt. Er soll das ganze Millionenzürich erhellen und seinen Glanz in die Welt tragen. Wenn das so ist, so ist er auch Millionenzürichs Aufgabe. Anders herum: Der Kanton, der vornehm schweigt, müsste merken, dass ihn das Kongresshaus etwas angeht. Hätten wir eine aufgeweckte Regierung, so würde die heute schon mit der Planung eines Kongresszentrums auf dem Kasernenareal beginnen. Denn es ist abzusehen, dass sich das Moneo-Projekt am See verheddert, und dann sind wir in fünf Jahren so weit wie schon um 2000 einmal. Hat der Kanton aber bis dahin seine Hausaufgaben gemacht, spart man sich siebzehn Jahre Entwicklungszeit.
Kommt dazu, dass ein Kongresszentrum auf dem Kasernenareal endlich eine Aufgabe ist, die der Bedeutung dieses Grundstücks entspricht. Der Kanton müsste diese Idee begierig aufgreifen, denn endlich weiss er etwas Vernünftiges damit anzufangen. Seit 1975 zum ersten Mal. Und Platz genug für mehr Zürcher Grosszügigkeit wäre erst noch.
Selbstverständlich taucht da sofort die alte Denkmalfrage wieder auf. Die Kaserne stehen lassen oder abreissen? Abreissen, sage ich. Jetzt plötzlich abreissen, tönts mir entgegen, das bestehende Kongresshaus hingegen soll erhalten werden! Inkonsequent und wetterfähnlig! Pardon, das kommt von der unterschiedlichen Qualität der Bauten. Das bestehende Kongresshaus ist Spitzenarchitektur, die Kaserne hingegen nur Masskonfektion, wie Moneos Projekt auch. Es geht nicht um Erhalten schlechthin, sondern um den architektonischen Rang.
Noch etwas: Im Museum für Gestaltung ist zurzeit die Ausstellung «Stuhl Haus Stadt – Haefeli Moser Steiger» zu sehen. Zur Ausstellung gibt es einen umfangreichen Katalog und darüber hinaus noch ein Buch über das Kongresshaus. Ein Vorschlag zur Güte: Wer weder die Ausstellung gesehen hat, noch sich dort das grosse Modell des Kongresshauses, wie es 1939 war, angesehen hat, wer auch die beiden Bücher nicht gelesen hat, der möge doch kein weiteres Urteil über die architektonische Qualität des Kongresshauses von Haefeli Moser Steiger absondern. Man kann solche Aussagen nicht mehr ernst nehmen, da sie nicht auf dem Stande des heutigen Wissens sind.
* Der Stadtwanderer Benedikt Loderer ist Redaktor der Zeitschrift «Hochparterre».